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Zahltag

Irgendwann ist Zahltag, für jeden von uns. Irgendwann bezahlst du für all deine Fehler.

Ich habe das Gefühl, nicht mehr Teil dieser Welt zu sein. Täglich entferne ich mich mehr aus dem Leben. jeden Tag, den ich alleine mit mir und der Essstörung verbringe, treibt den keil zwischen mir und den Menschen, die mich liebten, die ich geliebt habe, tiefer. Wenn ich jemand fragen würde: “Wie heißen deine Freunde?”, ich wüsste nicht mehr, was ich antworten sollte. Ich habe keine Freunde mehr und ich kann es ihnen nicht verübeln. Ich bin ein einsamer Wolf geworden, der nachts um 4 anstatt zu schlafen den Mond anheult und bloggt. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zuletzt mit einer Person in meinem Alter etwas unternommen habe, du liebe Güte, das ist Monate her. Das alles weggeworfen für die beschissene Essstörung. Wenn du drogensüchtig bist, hast du wenigstens noch soziale kontakte, auch wenn es bloß dein Ticker ist und andere zweifelhafte Gestalten, die genauso im Arsch sind und am Rande der Gesellschaft stehen wie du selbst, aber du bist zumindest gezwungen rauszugehen, mit Menschen zu kommunizieren. Doch die Essstörung isoliert dich komplett von deinem Umfeld, sie bringt dich dazu, dich an den schönsten Sommertagen in dner Wohnung einzuschließen und alles, was deinen kranken, von der Essstörung getakteten Tagesablauf stört, wie Besuche oder Verabredungen, versetzt dich in Panik, mal abgesehen dass du die Energie dazu nicht hast. Was sollte man schon mit einem Menschen wie mir machen? Etwas Essen gehen fällt aus. Wandern oder Radfahren gehen fällt aus. Schwimmen gehen fällt aus. Fitnessstudio fällt aus. kinobesuch fällt aus. Ausgedehnte Spaziergänge fallen aus. Gemeinsam kochen fällt aus. Also unterm Strich: Viel mehr als zuhausesitzen und Reden oder einen Film anschauen ist nicht drin. Und wenn dann auch noch das Zeitfenster ab dem Nachhausekommen von der Arbeit bis zum Schlafengehen und am Wochenende ab 15:00 für die Essstörung reserviert ist, bleibt sowieso nicht mehr viel Zeit für soziale kontakte.

Nein, so habe ich mir als kind mein Leben als erwachsene Frau nicht vorgestellt. Was heißt Leben, das ist kein Leben, da ist nicht mehr viel Lebendigkeit in mir. Ich habe fast alles verloren was ich hatte und was mir wichtig war und was mich ausgemacht hat, meine Hobbies, meine Freunde, meine Energie, meine kraft, meine Lebensfreude. Ich hätte nie gedacht, dass es so elendig langsam und quälend ist, an einer Essstörung zugrunde zu gehen. Du wünscht dir jeden Tag nur mehr, dass es vorbei ist und alles endlich ein Ende hat, du knallst dir Opioide in den Blutkreislauf um die körperlichen und seelischen Schmerzen zu betäuben. Ich weiß nun, warum man schwer kranken Menschen Opioide verabreicht, ich glaube wenn ich das Zeug nicht hätte, ich würde durchdrehen. Diesen Wahnsinn hält man nüchtern nicht aus, obwohl ich meilenweit davon entfernt bin, so  dicht zu sein, wie ich es gerne hätte.

Das Leben, das ich mal hatte, liegt in Scherben vor meinen Füßen. Unglaublich, dass ich vor 12 Monaten noch Freunde hatte, 15km-Läufe unternommen habe, mit meinem Freund Berge bestiegen habe. Und nun sitze ich da und sterbe jeden Tag ein bisschen mehr.

6 comments on “Zahltag

  1. Dann lass dir verdammt noch mal endlich richtig helfen!!!!!

    • Sie – will – nicht.
      Liest du eigentlich mal ihre Beiträge? Das hat sie jetzt so oft geschrieben.

      • Ich lese ihre Beiträge.! Seit langem und bisher still.
        Ich wollte nur darauf raus, dass sie sich beschwert, dass sie kein Leben hat und keine Freunde, aber sich gleichzeitig nicht helfen lassen will.
        Ja ich weiß, gehört vermutlich zum Krankheitsbild etc. pp. Trotzdem sollte man es ihr ab und zu unter die Nase reiben, vielleicht hilft es.

      • Ich finde, es besteht ein unterschied zwischen “sich über etwas beschweren” und “eine Tatsache feststellen”. Ich habe festgestellt, dass ich viele Freunde verloren habe, das ist Fakt, aber ich finde nicht, dass ich mich darüber beschwert habe. Das würde ich tun, wenn ich schreiben würde: “Das ist sooo mega ungerecht, die haben mich alle im Stich gelassen, gerade wo ich sie am dringendsten brauchen würde”, etc., das habe ich aber nicht getan. Ich habe vollstes Verständnis für ihre Reaktion und weiß, dass es meine eigene Verantwortung ist. Das wollte ich nur mal klarstellen, denn “sich über etwas beschweren” geht für mich Hand in Hand mit “mangelnder Einsicht”, und die möchte ich mir, zumindest in diesem Bezug, nicht unterstellen lassen.

      • Ich musste echt grinsen, als ich deine Antwort gelesen habe, weil das einfach so original das war, was ich mir im ersten Moment gedacht habe, als ich den kommentar gelesen habe 😀 Made my day, danke! 😀 Was natürlich nicht heißt, dass mir nicht klar ist, dass das “Lass dir doch helfen” einfach die erste ntürliche Reaktion eines normalen, gesunden Menschen ist, deswegen sehe ich das relativ entspannt.

  2. Und- wozu das alles?
    Diese Frage kann man sich sowohl in Bezug aufs eigene selbstzerstörerische Verhalten, als auch auf unsere Existenz an sich stellen.
    Zu 1.): da gibt’s individuelle und vielfältige Gründe. Die sind sicher meistens gut, aber nur für eine bestimmte Zeit tragfähig, bis es sehr unangenehm wird. Weil jede Form von Destruktivität irgendwann mit dem (biologisch bedingten) Überlebenswillen kollidiert, und dann kommt die gute alte kognitive Dissonanz dabei raus.
    Zu 2.): erzählen uns viele verschiedene Leute viele verschiedene Dinge. Der Kern der Sache sieht aber meist relativ ähnlich aus.
    Mir hilft es manchmal, mir die unerbittliche Vergänglichkeit des Ganzen hier vor Augen zu führen. Nicht nur auf rationaler, sondern auf emotionaler Ebene. Ich glaube eher nicht an ein Leben nach dem Tod. Die Zeit, in der ich für mich selbst zufrieden leben kann, ist begrenzt. Dann kann man ergründen, weshalb man sich diese Zeit so zur Hölle macht. Ob das besser aushaltbar ist als die Alternative. Und im Angesicht der Ewigkeit könnte das zu einer (positiven) Egal-Haltung führen.
    Ich schaffe es so, der Essstörung nicht ganz so viel Macht einzuräumen.
    Du hattest all das, was du verloren hast, einmal, das heißt, dass es möglich ist… Und wieder möglich sein kann. Wenn man herausfindet aus der Ecke ohne Aussicht und Horizont.

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