Die Entscheidung war mir absolut nicht leicht gefallen. Man legt nicht alle Tage das Todesdatum für ein Lebewesen fest. Doch es hatte sich abgezeichnet, dass es keinen Sinn mehr machte, ich konnte fast nicht mehr hinschauen wenn er sich abmühte auf die Beine zu kommen und eins ums andere Mal wieder umfiel und hilflos im Kreis robbte. Mama hatte sofort angeboten, dabei zu sein. Ich hatte lange überlegt, weil ich es hasse, vor anderen Menschen zu weinen. Und dass Tränen fließen würden, war klar. Schließlich entschied ich mich doch dafür, denn da ich wollte, dass er bei meinen Eltern im Garten begraben wird hätte ich sie sowieso sehen müssen, und sei es nur kurz auf einer Autobahnraststätte um ihr die sterblichen Überreste zu übergeben. Ich hatte ihn die letzten Tage so richtig verwöhnt, hatte die Nacht durchgemacht um ihn im Arm zu halten, und pünktlich um 8:30 klingelte meine Mutter mit einem Schuhkarton unterm Arm. Nach der Begrüßung öffnete sie ihn und breitete einige verschieden gemusterte Stofftücher aus. “Ich habe ein paar Tücher mitgebracht, magst du dir eines aussuchen wo wir ihn dann einwickeln wollen?” Das reichte, um in Tränen auszubrechen. “Bist du sicher, dass du mitkommen willst? Ich kann auch alleine mit ihm fahren.” bot sie mir an. Natürlich wäre das der einfachere Weg gewesen, aber das wollte ich nicht. Er sollte in meinen Armen einschlafen dürfen. Nichtsahnend lag der da, die beiden Mädels schleckten ihm die Ohren ab, genauso ahnungslos, dass das das letzte Mal sein würde. Ich setzte ihn in die Transportbox und wir machten uns auf den Weg. An der Tür zur Tierklinik blitzte uns erst mal ein Schild entgegen: “Nur eine Person pro Tier”. “Das gilt nur für den Behandlungsraum, aber wir haben hinten noch einen extra Raum, da können Sie dann zu zweit zu ihm” klärte uns die Ärztin auf. Also schickte ich meine Mutter hinein. Es folgte ein kurzes Gespräch, viel zu klären schien es nicht mehr zu geben, nur 3 Minuten später öffnete sich hinten eine Türe und ich huschte hinein. Es war eine Art Durchgangsraum zum Kellerabgang mit gefliestem Boden, in dem ein paar wenige Sessel standen. Ich setzte mich zu meiner
‘Mutter und sie stellte mir die Transportbox auf den Schoß. “Er hat jetzt eine Spritze bekommen und in 10-15 Minuten schläft er ein. Und dann, wenn er nix mehr mitkriegt, bekommt er nochmal eine und dann bleibt das Herz stehen.” erklärte sie mir. Ich hatte mir ausgemalt, dass spätestens das der Moment sein würde, in dem ich mich heulend auf dem Boden kringeln würde- doch ich war erstaunlich ruhig und gefasst. Ich kraulte ihn zwischen den Ohren und beobachtete wie sich der Brustkorb hob und senkte. Nach ein paar Minuten begann er komische, grunzende Laute von sich zu geben, auf die ich mir nicht so richtig einen Reim machen konnte. Die Zeit verging unglaublich zäh, gefühlt war eine halbe Stunde vergangen, bis der Tierarzt wieder zur Tür hereinkam und ihn mitnahm in den Nebenraum. Wenige Minuten später holte er uns mit in den Raum. Am Behandlungstisch stand die Transportbox, mit einem Hasen, der sich gar nicht mehr bewegte und die Augen weit geöffnet hatte. “Es kann sein, dass er in der nächsten Stunde noch ein paar Mal zuckt, das sind dann aber nur die Nerven. Das Herz schlägt ganz sicher nicht mehr” ließ er uns wissen. Als wir hinaustraten in den Warteraum, hatte sich da bereits eine große Ansammlung an Tierbesitzern gebildet. So gut es ging versuchte ich mein verheultes Gesicht zu verbergen.”Eigentlich bräuchte man für solche Fälle einen geheimen Hinterausgang, denn für die Wartenden ist es auch nicht gerade erbauend, wenn jemand sein totes Tier durchs Wartezimmer trägt” dachte ich mir. Zuhause angekommen wollte ich auch den beiden anderen die Möglichkeit geben, sich zu verabschieden. “Uahh… pass auf, schnell, wir brauchen irgendwas zum Drunterhalten!” rief meine Mutter und fummelte hektisch das alte Handtuch aus der Transportbox. Ich sah an mir herunter und entdeckte den Pipisee, der sich zu meinen Füßen gebildet hatte. “Oh… er läuft aus.” stellte ich kichernd fest. Während meine Mutter das Missgeschick beseitigte, legte ich den schlaffen Kaninchenkörper ins Gehege. Neugierig kamen die beiden angehoppelt. Es zeriss mir fast das Herz, als sie ihn anstupsten, aber keine Reaktion bekamen. Minutenlang schleckten sie ihn von oben bis unten ab- dann war das Thema für sie erledigt und sie widmeten sich anderen Sachen.
‘Ich holte ihn wieder heraus und trug ihn ins Badezimmer, wo ich ihn untenrum sauber machte – das hatte er in letzter Zeit nicht mehr selbst geschafft- und ihn nochmal ausgiebig bürstete. Es war ein überaus friedlicher Moment und ich war mehr erleichtert, dass er es nun hinter sich hatte und ich ihm nicht mehr jeden Tag zusehen musste wie er sich quälte, als dass ich traurig war. Ich versuchte, seine Augen zu schließen, so wie man es immer in den Filmen sieht, aber das funktionierte nicht, sie gingen immer wieder auf und starrten mit leerem Blick an die Badezimmerdecke. Nachdem er meiner Meinung nach schön genug für seine letzte Reise war, wickelte ich ihn in das Tuch, das ich zuvor ausgesucht hatte, vergrub noch ein letztes Mal mein Gesicht in seinem weichen Fell und legte ihn in den Schuhkarton.
‘Und weil Mama schon mal da war, kümmerten wir uns auch noch um die Krallen der beiden Anderen und wir entfernten den komplett vollgepinkelten Teppich und tauschten ihn gegen einen neuen.
‘Am frühen Nachmittag machte sich meine Mutter dann auf den Heimweg. “Kann ich dich wirklich alleine lassen?” fragte sie prüfend. “Ja klar. Alles in Allem war es eigentlich nicht so schlimm wie ich befürchtet hatte.”
Das alles ist fast 2 Wochen her.Er fehlt mir, natürlich fehlt er mir. Aber es ist okay. Das Leben muss weitergehen.